[32] Die Eskalationsspirale der Überbelastung


Die Eskalationsspirale der Überbelastung

Im heutigen Blogbeitrag geht es um ein Problem, das ich in vielen Arztpraxen beobachte und das sich nur schwer lösen lässt. Das liegt nicht etwa daran, dass das Problem an sich schwer zu lösen wäre – es liegt schlicht und einfach daran, dass die Praxisinhaber denken, sie hätten keine Zeit dafür. Denn fehlende Zeit ist die Herausforderung, über die ich mit Ihnen sprechen möchte!  

Beispiel: Zeitmangel durch schlechte Führung 

Ich hatte vor kurzem Kontakt mit einer dermatologischen Gemeinschaftspraxis, die vor drei Jahren von zwei jungen Kollegen übernommen wurde. Bei meinem ersten Praxisbesuch fiel mir sofort auf, dass das Wartezimmer zwar brechend voll war, ein Teil der MFAs aber gemütlich hinter dem Tresen standen und miteinander tratschten. Hier schrillten bei mir schon die Alarmglocken und im Gespräch mit den Praxisinhabern bestätigte sich meine Vermutung. Die Praxisinhaber klagten mir ihr Leid über totale Überlastung, hohe Kosten und geringen Ertrag.  

 

Die Beschreibung wunderte mich nicht besonders nach dem, was ich im Wartezimmer gesehen hatte. Ein so volles Wartezimmer deutet in der Regel auf eine miserable Organisation hin. Hinter einer miserablen Organisation steckt meistens eine schlechte Führung. Schlechte Führung basiert bei vielen Medizinern auf Unkenntnis, wie Führung überhaupt funktioniert und zeigt sich in Situationen, in denen die Zeit knapp ist, natürlich besonders deutlich. 

Drücken Sie die Pause-Taste

Es entsteht eine Eskalationsspirale, aus der die Praxisinhaber keinen Ausweg mehr sehen. Aber natürlich gibt es den!  

 

Man kann sich der Spirale entziehen, indem man, bildlich gesprochen, einmal auf die Pause-Taste drückt. Man muss sich Zeit nehmen, um die Situation zu analysieren und dann entsprechende Veränderungen vornehmen. Und genau das ist der Haken, den ich zu Beginn der Folge angesprochen habe: Um aus der Spirale zu entkommen, braucht man Zeit – doch genau diese Zeit fehlt.  

 

Genauso verlief dann auch das Gespräch mit den Praxisinhabern. Man sah ihnen die Überbelastung wirklich schon im Gesicht an und ehrlich gesagt wirkten sie, als würden sie auf dem Zahnfleisch gehen. In unserem Gespräch stellte sich dann leider heraus, dass sie recht unrealistische Erwartungen hatten.  

 

Salopp gesagt, hatten sie sich erhofft, dass mit mir ein Zauberer in ihre Praxis kommt, der einmal Schnapp macht und alle ihre Probleme sind gelöst. So gerne ich das für die Praxisinhaber ja tun würde, ist es doch vollkommen unrealistisch. Auch auf die Gefahr hin, dass Sie jetzt zutiefst enttäuscht sind, muss ich gestehen: Weder mein Team und noch ich können zaubern!  

 

Eigentlich ist es in unserem Job als Praxisberater genau wie in Ihrem, in der Medizin: Jede seriöse Beratung beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, und dazu ist bei uns, genau wie bei Ihnen, die Mitwirkung des Patienten beziehungsweise des Praxisinhabers notwendig.  

 

Die beiden Praxisinhaber erklärten mir jedoch, dass es ihnen durch die Doppelbelastung von Praxis und Familie schlicht nicht möglich sei, nun auch noch zusätzlich Zeit für die Praxisanalyse und später auch noch Zeit für die notwendigen Trainings und Coachingsessions freizubekommen.  

 

Hier nun aber beißt sich leider die Katze in den Schwanz. Zwar waren einige Dinge, die offensichtlich schief liefen für uns sofort ersichtlich. Aber nachhaltige Veränderung kann immer nur gemeinsam mit dem Praxisinhaber erreicht werden – und dieser Einsatz erfordert nun mal Zeit. 

Die Metapher vom Angler 

Die Metapher des Anglers beschreibt die Situation ganz wunderbar: Ein Wanderer kam auf seinem Weg den Berg hinauf an einem See vorbei. Dort sah er einen Angler auf einem Klappstuhl sitzen und beobachtete ihn einen Moment lang. Neben sich hatte der Angler einen Eimer stehen, der offensichtlich für den Fang gedacht war – doch er war leer. Regungslos ließ der Angler seine Angel in das Wasser hängen.  

 

Da nichts passierte, ging der Wanderer seines Weges weiter. Als er nachmittags auf dem Heimweg wieder an dem See vorbeikam, saß der Angler noch immer da. Die Angel hing weiterhin im Wasser und der Eimer war noch immer leer. Der Wanderer war ein hilfsbereiter Mensch und sprach zu dem Angler: „Lieber Angler, ich könnte dir zeigen, wie man ein Netz knüpft. Dann kannst du in viel weniger Zeit viel mehr Fische fangen.“  

 

Der Angler aber ist so auf den See konzentriert, dass er den Wanderer kaum beachtet. Ohne aufzublicken, antwortet er: „Nein, nein, ich habe keine Zeit, ein Netz zu bauen. Ich muss Fische fangen.“  

Planen Sie feste Zeiten für die Optimierung Ihrer Praxis ein

Ich denke, die Moral der Geschichte erklärt sich von selbst. Falls es Ihnen auch manchmal so geht, wie dem Angler oder den beiden Praxisinhabern habe ich eine große Bitte: Planen Sie sich feste Zeiten in Ihrem Kalender ein, in denen Sie sich mit Ihrem Unternehmen Arztpraxis und dessen Optimierung beschäftigen.  

 

Gerade wenn Sie denken, dass Sie dafür überhaupt keine Zeit haben, ist es umso wichtiger sich diese Zeit zu nehmen: Ein bisschen Zeit zu investieren, um Prozesse zu optimieren, so dass die Arbeit leichter von der Hand geht, erscheint mir ein gutes Investment zu sein. Hierfür braucht es aber Zeit, denn das passiert nicht von allein.  

Veränderung braucht Geduld

Tatsächlich bedarf es, um Veränderungen in Ihrer Praxis zu implementieren, nicht nur Zeit von Ihnen, sondern auch Geduld.

Beispiel: Schnelle Veränderungen in einer Praxis

Eine junge Ärztin übernahm vor zwei Monaten eine hausärztliche Praxis, in der sie die letzten drei Jahre schon als angestellte Ärztin gearbeitet hatte. Sie hatte sich schon vorher ganz genau überlegt, was sie alles anders machen wollte als der vorherige Praxisinhaber.  

 

Die Karteikarten sollten natürlich verschwinden, eine moderne Praxisverwaltungssoftware sollte her, einige technische Geräte neu angeschafft und die Praxis optisch aufgehübscht sowie neu gestrichen werden. In kürzester Zeit wurde alles umgesetzt, das Team nahm an einer Software-Schulung teil und danach öffnete die neue Inhaberin die Praxis wieder. Sie war überzeugt nun alles notwendige getan zu haben, damit die Praxis jetzt super laufen würde.  

 

Dem war leider nicht so: Etwa sechs Wochen später rief sie mich völlig verzweifelt an, da die ganze Praxis inzwischen total aus dem Ruder lief. Das Wartezimmer war überfüllt, die Wartezeiten für die Patienten waren unzumutbar und die Mitarbeiter kamen mit der neuen Software nicht zurecht.  

 

Das alles konnte die Praxisinhaberin überhaupt nicht verstehen. Schließlich waren doch alle gerade geschult worden. Darüber hinaus standen die Mitarbeiter sich gegenseitig auf den Füßen, da sie die von der neuen Eigentümerin geänderten Abläufe nicht wie von ihr erwartet umsetzen konnten.  

 

All das führte natürlich dazu, dass Mitarbeiter wie Praxisinhaberin total gestresst waren und sich völlig überlastet fühlten. Die Stimmung im gesamten Team war wirklich schlecht. Nachdem sie mir die ganze Situation geschildert hatte, fragte ich sie, wie häufig sie denn in dieser schwierigen Umbruchsituation mit ihren Mitarbeiterinnen Teambesprechungen durchführen würde. Sie antwortet mir allen Ernstes, dass sie für solche Meetings in der aktuellen Situation natürlich keine Zeit hätte.  

Gewohnheiten langsam ändern

Einerseits sehen Sie hier genau das eben beschriebene Angler-Phänomen: 

Sie hat keine Zeit, um sich regelmäßig mit dem Team zusammenzusetzen, was kontraproduktiv für die Veränderung ist. Andererseits sehen Sie aber auch eine völlige Überschätzung der Geschwindigkeit, mit der Veränderungen wirksam implementiert werden können.  

 

Der stärkste Klebstoff ist nun mal die Gewohnheit, und wenn ich einem Praxisteam, das jahrelang bestimmte Organisationsformen und Abläufe gewohnt war, derartige Veränderungen abverlange, muss ich den Raum und die Zeit für Gespräche einplanen.  

 

Gerade bei einer Praxisübernahme haben wir es in der Regel auch mit einem älteren Team zu tun, und ohne despektierlich erscheinen zu wollen, benötigen Veränderungsprozesse bei älteren Mitarbeitern einfach nochmal mehr Zeit. Ich darf das sagen, da ich ja die 50 auch schon überschritten habe und somit weiß, wovon ich rede. Diese Zeit müssen Praxisinhaber ihrem Team auch geben. 

 

Die Teambesprechungen sollten in einer solchen Situation zu Anfang sogar täglich stattfinden, damit jedes auftauchende Problem möglichst umgehend besprochen und behoben werden kann. Später können die Besprechungen dann seltener werden – erst zweimal pro Woche, dann wöchentlich.  

Ursachen erkennen und Hilfe holen

Die Beispiele zeigen deutlich, wie wichtig es ist, gerade in Zeiten der Überlastung innezuhalten und sich zu zwingen, Zeit für Analysen einzuplanen. Nur so kann die Ursache für ein Problem entdeckt und wirklich im Keim behoben werden.  

 

Leider ist bei vielen Medizinern das Klagen über die fehlende Zeit bereits zur völligen Selbstverständlichkeit geworden. Viele gehen davon aus, dass das in diesem Job einfach so ist – das muss aber nicht sein! Im Gegenteil: Fehlende Zeit signalisiert nur, dass hier etwas im Argen liegt.  

 

Die Ursache kann dabei ganz unterschiedlich sein, aber egal ob es an den Prozessen und Abläufen, der Mitarbeiterqualifikation oder der Führung des Praxisinhabers liegt, es lässt sich lösen!  

 

Für die Praxisinhaber selbst ist es allerdings oft schwierig, die Ursachen zu erkennen. Das ist ja aber eigentlich immer so, wenn man selbst in ein Thema stark involviert ist, dass nach einer Weile eine gewisse Betriebsblindheit entsteht. Daher ist es sinnvoll, sich gerade in einer solchen Situation externe Hilfe ins Haus zu holen.