[33] Wie sinnvoll ist es, heute noch eine Privatpraxis zu eröffnen?


Wie sinnvoll ist es, heute noch eine Privatpraxis zu eröffnen?

Das Thema des heutigen Blogbeitrags hat sich aus einem aktuellen Anlass ergeben, von dem ich Ihnen gern berichten möchte. Unabhängig voneinander meldeten sich in den letzten Wochen drei Praxisinhaber bei uns, die zwei Gemeinsamkeiten haben: Sie gründeten in den letzten drei Jahren eine Privatpraxis und sie stehen heute vor großen wirtschaftlichen Problemen. Letzteres ist der Grund, wieso sie sich nun an uns wandten.  

 

Als wir die Ursachen für ihre wirtschaftliche Lage genauer betrachteten, stellte sich heraus, dass die Praxisinhaber bereits bei der Praxisgründung eine Menge Fehler gemacht hatten. Viele davon waren individuell, doch einige Fehler konnten wir in allen Praxen feststellen. Welche das waren? 

Ursachen für wirtschaftliche Probleme in einer Praxis

Erstens hatten sie alle drei eine vollkommen unrealistische Erwartungshaltung daran, wie schnell die Praxis ins Laufen kommen würde. Hinzu kommen viel zu geringe Marketingbudgets und erhebliche Fehler in der Außendarstellung. So schmücken sich alle drei Praxen beispielsweise mit sicherlich super hippen, völlig verkünstelten Namen, die aus kryptischen Buchstaben und Zahlenkombination bestehen. Hinter diesen Kombinationen steht immer ein großer Sinn, der auf Nachfrage erklärt werden kann – doch ohne Hilfestellung versteht das niemand.  

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich persönlich gehe lieber zu Dr. Huber und wenn ich im Freundeskreis einen Arzt empfehle, dann empfehle ich eben Dr. Huber und nicht die Praxis bkr271, wie sinnvoll die Bedeutung hinter diesem Kürzel auch immer sein mag.

Zahlen & Fakten rund um die Eröffnung einer Privatpraxis

Die Anfragen der Praxisinhaber brachten mich zu der Frage, die ich in diesem Blogbeitrag besprechen möchte: Ist es heute eigentlich überhaupt noch sinnvoll, eine Privatpraxis zu eröffnen? 

Wenn Sie überlegen, eine Privatpraxis zu eröffnen, gibt es ein paar ganz grundsätzliche Hard Facts, die Sie im Kopf haben müssen:  

  • In Deutschland sind 11 Prozent aller Menschen privat krankenversichert – dem gegenüber stehen 7.500 Privatpraxen.  
  • Schaut man sich diese Privatpraxen etwas näher an, kommen auf 65.000 niedergelassene Zahnärzte etwa 500 Privatpraxen  
  • und auf 25.000 niedergelassenen Psychotherapeuten etwa 2.000 Privatpraxen.  
  • Somit verbleiben noch 5.000 Privatpraxen, die sich quer durch alle anderen human-medizinischen Fachbereiche verteilen.  

 Lange Rede, kurzer Sinn: Was diese Zahlen beweisen, ist, dass der Markt an Privatpraxen heute im Grunde gesättigt ist. Soll das nun heißen, dass Sie keine Chance haben, mit einer neugegründeten Privatpraxis erfolgreich zu sein? Keinesfalls! Denn wie wir alle wissen: Das Bessere ist des Guten Feind.  

Zusammenlegung der Krankenversicherungen?

Zudem sind im Markt der Privatpraxen perspektivisch gravierende Änderungen zu erwarten. Für diese müssen wir uns kurz mit der privaten Krankenversicherung und deren Zukunft in Deutschland auseinandersetzen: Bekannterweise wird seit Jahren von der Bürgerversicherung geredet, doch eine Entscheidung wird immer wieder verschoben. Das kann so nicht mehr endlos weitergehen, denn Deutschland ist in der EU das einzige Land mit einem solchen Zwei-Klassen-Versicherung-System und der Druck der EU wächst.  

 

Hinzu kommt, dass der Druck auf die gesetzlichen Krankenkassen durch die wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen, die es in Deutschland gibt, weiter zunehmen wird. Momentan arbeiten diese defizitär – ein Zustand, der sich zukünftig sicherlich eher noch verschärfen wird, denn ich denke, wir alle sind uns klar darüber, dass die wirtschaftlichen Perspektiven in Deutschland wenig rosig sind.  

 

Die Digitalisierung, auch wenn wir in diesem Bereich in Deutschland immer hinterherhinken, tut ein Übriges dazu, Arbeitskräfte freizusetzen. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen, dass es mittelfristig mehr Arbeitslose geben wird als heute. Diese werden mehr Gesundheitskosten produzieren, während die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gleichbleibend gering sein werden.  

 

Vor dieser Situation ist die Verschmelzung der privaten Krankenversicherung mit den gesetzlichen Krankenversicherungen schon allein aus einem Grund interessant: Die gesamten Rückstellungen der privaten Krankenversicherungen entsprechen etwa dem, was alle gesetzlichen Krankenversicherungen in einem Jahr an Ausgaben haben. So eine Zusammenlegung würde also viele wirtschaftliche Probleme auf einen Schlag lösen.  

Nachfrage der Selbstzahler steigt

Es gibt perspektivisch noch eine ganz andere Entwicklung, die die Situation ebenfalls beeinflusst: Die Altersstruktur der Praxisinhaber aller Arztpraxen in Deutschland.  

 

Etwa 50 Prozent aller Praxisinhaber haben in den nächsten 15 Jahren das Rentenalter erreicht. Und jeder von uns weiß, dass diese Praxen nicht entsprechend nachbesetzt werden können. Schon heute merken wir, dass die Anzahl der Arztpraxen, mit wenigen Ausnahmen, an vielen Orten inzwischen rückläufig ist.  

 

Das bedeutet, dass in den kommenden Jahren, die gleiche Menge Menschen auf immer weniger Anbieter ambulanter medizinischer Versorgung trifft. Das führt unweigerlich zur Eskalation der Wartezeiten auf einen Arzttermin und auch die immer wieder bemängelte 3-Minuten-Medizin wird es sicher nicht verbessern. 

 

Diese Situation wird für viele Menschen, die es sich wirtschaftlich leisten können, der Startschuss sein, um darüber nachzudenken, ob sie nicht lieber auf eigene Rechnung in eine Privatpraxis statt in eine Kassenpraxis gehen. Es ist also eine ganz klare Erhöhung der Nachfrage durch Selbstzahler zu erwarten.  

Auswirkung des neuen Patientenpublikums für Privatpraxen

Das Publikum verändert sich von den Privatpatienten, die einfach alles bezahlt bekommen und dafür ein bisschen mehr Service und ein bisschen mehr Zeit des Arztes erwarten, zu den Selbstzahlern hin, die eine klare Erwartungshaltung haben, wenn sie Geld dafür bezahlen. Im Kern müssen Privatpraxen dazu in der Lage sein, diesen Patienten eine einzige Frage beantworten zu können: Wieso soll ich gerade in Ihre Praxis kommen?  

 

Das heißt: Der Dreh- und Angelpunkt für die Privatpraxis wird die Positionierung sein. Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, einfach eine Privatpraxis zu sein – eigentlich reicht das schon heute nicht mehr aus, denn wie wir vorhin beschrieben haben, ist der Markt bereits gesättigt. Doch in Zukunft wird sich diese Situation noch verschärfen.  

 

Praxisinhaber müssen potenziellen Patienten ganz klar beantworten können, wieso sie ausgerechnet zu ihnen kommen sollen. Mehr Selbstzahler in den Arztpraxen erfordern also einen hohen Kommunikationsbedarf und ein hohes Maß an Servicebereitschaft. Wer das nicht kann oder als Praxisinhaber nicht leisten will, der sollte in jedem Fall die Finger von einer privaten Praxis lassen.  

Was bedeutet diese Erwartungshaltung der Patienten konkret für die Praxen?

Beispielsweise geht es in einer Privatpraxis viel stärker um die Person des Praxisinhabers als in einer Kassenpraxis: Seine Persönlichkeit, seine Werte und die daraus resultierende gelebte Praxiskultur bestimmen die Anziehungskraft der Praxis auf Patienten.  

 

Über das Thema Positionierung haben wir in diesem Blog schon häufig gesprochen, doch wenn wir über die Gründung einer Privatpraxis reden, bekommt dieses Thema noch eine deutlich stärkere Bedeutung. Ich empfehle Ihnen hierzu den Blogbeitrag über die drei Wege, um Ihre Praxis garantiert unverwechselbar zu machen, sowie den Blogbeitrag zum Thema proaktive Wunsch-Patienten-Generierung.  

Das richtige Team

Wenn wir über Positionierung und Praxiskultur sprechen, kommen wir unweigerlich direkt auch zum Thema Mitarbeiter. Die Auswahl, Führung und Entwicklung von Mitarbeitern hat in diesem Kontext eine besonders große Bedeutung.  

 

Einerseits, weil die Mitarbeiter zur Praxiskultur passen und deren Werte leben müssen; andererseits, weil sie neben einem hohen Qualitätsanspruch an sich selbst auch eine hohe Dienstleistungsbereitschaft mitbringen müssen – und ich glaube, wir wissen alle, wie der Mitarbeitermarkt im Moment aussieht. Die Leute stehen ja nicht gerade Schlange, um in einer Arztpraxis zu arbeiten, und – wenn wir ganz offen sind – gibt es auch nur wenige, die die eben genannten Voraussetzungen wirklich erfüllen.  

 

Das heißt, Sie benötigen zum Start Ihrer Privatpraxis einiges an Zeit und Geld, um das richtige Team zusammenzustellen.  

Mitarbeiter gewinnen Mitarbeiter

Es lohnt sich aber: Denn mittelfristig führt das dazu, dass Sie keine Personalprobleme mehr haben werden. Haben Sie erst einmal eine klare Positionierung, leben diese in Ihrer Praxiskultur und verfügen über ein Team, das darin aufgeht, dann haben Sie eine Strahlkraft nach außen, die dazu führt, dass Sie automatisch Initiativbewerbungen bekommen werden. Das Stichwort hier lautet: Mitarbeiter gewinnen Mitarbeiter!  

 

Investieren Sie also in diesen Start und in die richtigen Mitarbeiter, so dass Sie mittelfristig davon profitieren können. Das bedeutet: 

  • Investieren Sie neben einer guten Website in einen vernünftigen Social-Media-Auftritt, denn das ist für Bewerber ein wichtiges Thema.
  • Zudem brauchen Sie Ihre Praxisbroschüre für Bewerber, die sowohl analog als auch digital zur Verfügung steht.
  • Dann benötigen Sie ein Praxisvideo für Bewerber, damit sie Sie und Ihre Praxis kennenlernen können.
  • Und zuletzt: Nehmen Sie an Ausbildungs- und Berufseinsteigermessen teil und stellen Sie Ihre Praxis in Gymnasien vor, um Auszubildende zu gewinnen.  


Wenn Sie zu den Ärzten gehören sollten, die generell keine große Lust mehr haben, Auszubildende einzustellen – was ich inzwischen doch von vielen Praxisinhabern höre -, dann möchte ich Ihnen den Blogbeitrag mit dem Titel: „Das eine entscheidende Geheimnis, wodurch es wieder Sinn und Spaß macht Auszubildende einzustellen“ ans Herz legen.  

 

Die genannten Punkte sind alle zentral, um Sie im Kampf um die wirklich guten Arbeitskräfte sofort deutlich von anderen Praxen zu unterscheiden. Sie machen es Ihnen einfacher, vernünftige Leute für Ihre Praxis zu finden. Denn am Ende des Tages ist die Privatpraxis sehr ähnlich der Hotellerie: Wenn ich mich als Hotelgast beziehungswiese Patient rundum wohlfühle, einen ausgezeichneten Service genieße und mich in einem außergewöhnlichen Ambiente bewege, dann bin ich auch gern bereit, entsprechend viel zu bezahlen. Hierfür sind aber die passenden Mitarbeiter notwendig, die diesen Service mit Begeisterung leben.  

Notwendige Investitionen bei der Neugründung einer Privatpraxis

Nun haben wir bereits darüber geredet, wie sich der Markt der Privatpraxen entwickelt und welche Schritte notwendig sind, um zukünftig mit einer neu gegründeten Privatpraxis Erfolg zu haben. Nun sollten wir noch über die notwendigen Investitionen reden, mit denen Sie rechnen sollten.  

 

Bei der Übernahme einer Kassenpraxis zahlen Sie üblicherweise den größten Teil des Kaufpreises für den Kassensitz mit dem vorhandenen Patientenstamm – das ist, wenn man so will, der Garant für einen bestimmten Grundumsatz. Dieses Geld brauchen Sie bei der Neugründung einer Privatpraxis für das Marketing und die Überbrückung der Anfangsphase.  

 

Zudem erwarten die kritischen Privat- und Selbstzahler-Patienten ein gewisses Niveau an technischer Ausstattung und modernem Equipment. Das sollte ab Beginn in Ihrer Praxis zur Verfügung stehen und immer auf dem aktuellen Stand gehalten werden.  

 

Kurzum: Die Gesamtinvestitionen bei der Neugründung einer Privatpraxis bewegen sich auf mindestens dem gleichen Niveau, wie bei einer Kassenpraxis. Wenn die Gründung einer Privatpraxis vernünftig gemacht wird, ist es eher sogar noch ein Stück mehr. Zudem sollten Sie im Auge behalten, dass die ersten drei bis fünf Jahre wirtschaftlich eher schwierig sein werden und das auch in Ihre private Lebensplanung miteinbeziehen.  

Potenzielle Zuweiser für Ihre Praxis gewinnen

Lassen Sie uns zum Schluss noch auf einen Punkt kommen, den meiner Erfahrung nach zwei Drittel aller Privatpraxisgründer völlig unterschätzen und dementsprechend links liegen lassen: Es geht um die Gewinnung von Zuweisern und das Zuweisermanagement.  

 

Wenn Sie in einer Fachrichtung praktizieren, die klassisch von Zuweisungen anderer Kollegen lebt, versteht es sich wohl von selbst, dass Sie sich vor beziehungsweise mit Ihrer Praxiseröffnung bei diesen potenziellen Zuweisern vorstellen. Hierbei bringen Sie eine professionelle Zuweiser-Broschüre und ein kleines Präsent mit. Und natürlich haben Sie anstelle der gähnend langweiligen, normalen Visitenkarten, die standardmäßig den Patienten von den zuweisenden Praxen übergeben werden, eine pfiffig gemachte, mehrfach klappbare Visitenkarte, die schon einer kleinen Patientenbroschüre ähnelt, in ausreichender Stückzahl dabei.  

 

Grundsätzlich gilt bei der Broschüre, dass es nicht ausreicht, Sie als Privatpraxis vorzustellen. Damit reduzieren Sie nur die Gruppe der potenziellen Zuweisung völlig unnötigerweise. Viel besser und interessanter für potenzielle Zuweiser klingt dagegen etwas wie: „Schneller Termin in modernst ausgestatteter High-Tech-Praxis.“  

 

Sollte Ihre Fachrichtung nicht in die Kategorie der klassischen Zuweisungsempfänger gehören, weil Sie zum Beispiel Allgemeinmediziner sind, sollten Sie dennoch zumindest alle Privatpraxisinhaber in Ihrem Einzugsgebiet besuchen. So können Sie sich mit ihnen vernetzen und von gegenseitiger Weiterempfehlung profitieren.  

Fazit: Ist es heute noch sinnvoll, eine Privatpraxis zu gründen?

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass es auch heute noch Sinn macht, eine Privatpraxis zu gründen. Es birgt nicht zu unterschätzende Risiken, hat aber nach einer längeren Anlaufzeit gute Chancen auf außergewöhnlich hohe Erträge. Zudem bietet eine Privatpraxis ein hohes Maß an Raum zur uneingeschränkten Selbstverwirklichung.  

 

Genau wie die Sterne-Gastronomie lebt die Privatpraxis von der Persönlichkeit des Inhabers: Vor dem Hintergrund der als sicher anzusehenden Endlichkeit der privaten Krankenversicherung würde ich eher introvertierten Ärzten, genau wie extrem sicherheitsorientierten Praxisgründern, von einer Privatpraxis abraten. Wenn Sie jedoch vom Typ her unternehmerisch veranlagt sind und Sie sich in der Rolle der Führungspersönlichkeit wohlfühlen, kann das die ideale Praxisform für Sie sein.